Rhenus horridus hatten die Römer den Rhein einst genannt. Sie vermuteten an seinen Ufern das Unwesen der Barbarei. Doch nicht allein die Römer fürchteten ihn, den schauerlichen Rhein. Bedrohlich war der Fluss für seine Anlieger schon immer, so reichlich er ihnen auch Lebensraum und Nahrung gab. Bedrohlich wegen der unberechenbaren Hochwasser und Eisgänge – und wegen der feuchten Auen, die im Sommer über weite Strecken zur Brutstätte der Malaria werden konnten.
Der Willkür des Rheins tritt am Beginn des neunzehnten Jahrhunderts der badische Ingenieur Johann Gottfried Tulla entschlossen entgegen. Er will die Kilometer weit verzweigten Flussarme des Oberrheins – ein Labyrinth aus Tausenden Inseln, Sandbänken und gefährlichen Riffen – in einer einzigen Stromlinie bündeln, den Strom berechenbarer, sicherer machen. Ein kühner Visionär. Er will die Anlieger vom Diktat des Rheins befreien.
Kamera: Riccardo Brunner, Niko Stein
Schnitt: Jörg Schömmel
Redaktion: Hans Helmut Hillrichs
Der vierte Teil der Stromlinien der Geschichte konzentriert sich auf die spannenden Entwicklungen am Rhein während der zurückliegenden zwei Jahrhunderte. Er macht die einzigartige Ingenieursleistung des 19. Jahrhunderts begreifbar, den Umbau der wilden Stromlandschaft zum weitgehend beherrschbaren Wasserweg. Er erzählt von der Entdeckung des romantischen Mittelrheins, vom aufkommenden Rheintourismus um Flusskilometer 555 – die Loreley. Er folgt dem faszinierenden Aufstieg des Rheins zum europäischen Wirtschafts- und Industriestandort, zur bedeutendsten - und der am besten erforschten – Wasserstraße des Kontinents.
Zugleich führt er in Zeiten politischer Krisen und Kriege zurück. Es waren zweihundert Jahre, in denen um den Strom der Ströme – mit nationalistischem Gedankengut überfrachtet – als Grenze zwischen Deutschland und Frankreich erbittert gekämpft und gerungen wurde. In denen seine Anlieger erst Erbfeinde waren und schließlich – vom Gedanken an ein vereintes Europa beseelt – begannen sie, im Rhein das Herzstück europäischer Kooperation zu sehen.