Die Autobahn: Transportband rund um die Uhr, Zielgerade, Arbeitsstätte, Abenteuerspielplatz, Warenlager auf Rädern, Ort von Begegnungen, Trennungen oder Endstation. Welcher Nomade der Gegenwart träumt nicht den Traum, nur um der Bewegung willen unterwegs zu sein, umgeben von Menschen, Bildern, Geschichte, und trotzdem von ihnen unberührt. Als Straße ohne Hindernisse wurde die Autobahn erdacht, zugeschnitten auf den rastlos vorwärts drängenden Weltpassagier. Hartnäckig weitet sie sich aus, Verkehrsminister, Regierungen und Wirtschaftskrisen überdauernd, trotz ständig wachsender Kritik. Autobahnen sind heute das einzige gesellschaftliche Band, das Europa wirklich zusammen hält – oder anders betrachtet, seine Landschaften zur Transitstrecke reduziert.
Film von Sylvia Stasser und Wolfgang Würker
Kamera: Niko Stein
Schnitt: Giusi Violani
Redaktion: Hans Helmut Hillrichs
„Autobahn der Titanen“ haben die Franzosen einen neuen Abschnitt getauft. Auf kühn geschwungenen Viadukten und Brücken überwindet die A 40 den südlichen Ausläufer des Jura. Zeitsparend und geschwind verbindet sie das derzeit ehrgeizigste und teuerste Autobahn-Teilstück – die autoroute de contournement von Genf – mit Lyon, der traditionellen Drehscheibe für den Nord-Süd-Verkehr. Doch wer in kürzester Zeit große Distanzen überwunden hat, erfährt, dass jedes grenzenlose Bewegungsparadies am eigenen Wesen zugrunde geht. Spätestens am berüchtigten Kessel von Lyon, in den Nadelöhren zum Osten oder in den schwarzen Abgaswolken über dem Irschenberg.
Auf den zentralen Verkehrsachsen zwischen Nord und Süd, Ost und West, begegnen wir ungezählten Automobilen, zwiespältigen Gefühlen und zwei Zeitgenossen, die Ungewöhnliches auf die Straße mit dem Mittelstreifen zieht. Leidenschaftlich gern erwandert Kurt Felix, bekannt geworden mit der versteckten Kamera, sämtliche neuen Teilstücke der Schweizer Autobahn. Die große Transportmaschine Autobahn fasziniert seit Jahren den Künstler Thomas Bayrle. Ihr gleichförmiger Kreislauf hat es ihm angetan, der Freiheit verspricht und längst unser Leben in die ihm eigenen Bahnen zwingt. Dass der Körper, hinter Gurten festgekeilt, ausschließlich Füßen, Händen und Augen begrenze Autonomie gewährt, wen kümmert es schon. Nicht weniger willig fügt man sich – von Ausnahmen abgesehen – in ein durch Verbote und Vorschriften eng reglementiertes Straßen-, Ordnungs- und Verhaltenssystem.